Vietnams Langzeitfolgen – DW – 30.04.2015 (2024)

Cliff Riley sah den Fall Saigons im Fernsehen. Er hatte sich 1966 im Alter von 19 Jahren direkt nach der Schule freiwillig zur Armee gemeldet. Getrieben von einem unkritischen nationalen Stolz, der von Amerikas Sieg über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg herrührte, glaubte Riley anfangs noch, auch die US-Intervention in Vietnam sei ein gerechter Krieg, diesmal gegen die kommunistische Bedrohung.

Riley wollte Hubschrauberpilot werden, aber daraus wurde nichts, denn er hatte eine mangelhafte räumliche Wahrnehmung. Stattdessen wurde er Fernmeldetechniker und half beim Aufbau eines Fernmeldenetzes für das Militär in Südvietnam. Als Riley dort eintraf, sah er viel Armut und glaubte, die USA könnten helfen.

Doch die Wirklichkeit war keineswegs schwarzweiß, sie war verwirrend. Riley stellte die amerikanische Intervention zunmehmend infrage. Er sah das Leid der Vietnamesen, sah, wie ihr Land vom Krieg verwüstet wurde, und fragte sich, ob Amerika wirklich etwas Gutes bewirkte. "Es tat mir weh, wie wir all den Schaden anrichteten", sagt er heute. "Wir zerstörten ihr Land. Ich dachte darüber nach, was ihnen bleiben würde, wenn wir das Land verließen."

Doch vor allem verlor Riley seine Freunde. Sieben seiner Schulkameraden aus Ohio fielen im Krieg. Als er im Fernsehen sah, wie die Nordvietnamesen Saigon am 30. April 1975 überrannten, überkamen ihn Zorn und Trauer über all das, was verloren war. "Ich weinte mir die Augen aus, ich schrie: 'Warum, wozu das alles? Meine Freunde waren getötet worden. Wozu nur?'"

Warum führte Johnson Krieg?

Auch vierzig Jahre nach dem Fall von Saigon kann niemand schlüssig erklären, wofür Rileys Kameraden starben. Im Mittelpunkt der Frage nach dem Warum steht Lyndon Johnson, Amerikas 36. Präsident. Johnson war ein liberaler Demokrat aus Texas, ein Reformer, der sich für soziale Gerechtigkeit und Rassengleichheit einsetzte. Aber seine fortschrittliche Innenpolitik stand im Gegensatz zu seiner aggressiven Außenpolitik. 1965 suchte er die militärische Eskalation, indem er eine Beratungsmission in einen Krieg verwandelte, auf dessen Höhepunkt 500.000 US-Soldaten in Vietnam eingesetzt waren.

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"Viel deutet darauf hin, dass Lyndon Johnson beim Thema Vietnam innerlich gespalten war", sagt der Historiker und Buchautor Edward Miller. "Auf der einen Seite fand er, die USA müssten Südvietnam unterstützen", so Miller. "Die USA waren zu dem Zeitpunkt schon seit 15 Jahren in Vietnam engagiert. Auf der anderen Seite ist klar, dass ihm der Vietnamkrieg großes Kopfzerbrechen bereitete."

Manche Historiker glauben, Johnson sei ein in der Wolle gefärbter Kalter Krieger gewesen, der an die Dominotheorie glaubte, nach der sich der Kommunismus wie ein Buschfeuer ausbreiten würde, sollte Südvietnam an den Norden fallen. Andere sind der Meinung, John habe sich aus innenpolitischen Erwägungen für den Krieg entschieden. Als liberaler Präsident, der eine fortschrittliche Innenpolitik verfolgte, befürchtete er, von der Rechten angegriffen zu werden, er sei zu nachgiebig gegenüber dem Kommunismus. Heute meinen viele Historiker, Johnsons Persönlichkeit sei der wichtigste Faktor bei der Entscheidung gewesen, Kampftruppen nach Vietnam zu entsenden. Er war ein unsicherer Mann, der nach außen hart wirken musste.

Agent Orange

Mit dem Ziel, den kommunistischen Aufständischen die Rückzugsräume zu zerstören, versprühten die USA 80 Millionen Liter Agent Orange, um den dichten Dschungel Vietnams zu entlauben. Agent Orange enthält hochgiftiges Dioxin. Jahrelang erkannte die US-Regierung eine Verbindung zwischen Dioxinkontakt und Gesundheitsproblem bei heimkehrenden Veteranen wie Cliff Riley nicht an.

"Dioxin hat viele von uns krank gemacht", sagt der heute 69 Jahre alte Riley. "Wenn Sie sich die Leute ansehen, die mit Dioxin in Kontakt kamen, dann hatten die ein höheres Risiko bei Krankheiten wie Prostatakrebs, Lungenkrebs oder Parkinson."

Schon mit 40 hatte Riley zwei Herzanfälle hinter sich. Seine Frau hatte eine Fehlgeburt. Er hatte Nieren-, Blasen- und Gallenprobleme. Bei ihm wurde Darmkrebs festgestellt. Er hat heute Diabetes. Sein Sohn leidet unter anderem unter Legasthenie und einer Hüftfehlbildung. Erst durch ein Gesetz von 1991 begann die US-Regierung, den Zusammenhang anzuerkennen und Veteranen für Krankenheiten zu entschädigen, die durch Dioxinkontakt verursacht wurden.

"Doch für die Vietnamesen ist es zehnmal schlimmer, weil sie mit Dioxin in ihrem Grund- und Trinkwasser leben", sagt Williamson. "Das ganze Land ist davon durchtränkt. Sie haben mehr Krebsfälle und Geburtsschäden als wir. Und wir wissen heute, dass Dioxin bis zu sieben Generationen einer Familie hindurch betreffen kann."

Vietnam-Syndrom?

Die Schrecken des Krieges und der militärische Niederlage waren für die USA so traumatisierend, dass manche Amerikaner glaubten, ihr Land leide an einem "Vietnam-Syndrom". "Weil der Krieg ein solches Desaster war, weil er in der Bevölkerung so verhasst war, haben amerikanische Spitzenpolitiker danach sehr gezögert, im Ausland wieder Militär einzusetzen", so der Historiker Edward Miller.

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Aber nicht jeder sieht die Vietnam-Tragödie als warnenden Hinweis auf die Grenzen der amerikanischen Militärmacht. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 marschierten die USA unter Präsident Bush in Afghanistan und im Irak ein und verfolgten inmitten von Aufständen eine ehrgeizige Politik des nation building - beide Konflikte kann man bestenfalls ergebnislos nennen. Inzwischen ist der Afghanistan-Krieg der längste Konflikt der amerikanischen Geschichte, nicht Vietnam.

"Vietnam bleibt der Bezugspunkt", so der Historiker Edward Miller. "Egal, ob sich die Diskussion darum dreht, was die USA im Irak oder in Afghanistan tun sollten oder wie sie mit dem 'Islamischen Staat' umgehen sollten, jedesmal ist Vietnam der erste Bezugspunkt."

Vietnams Langzeitfolgen – DW – 30.04.2015 (2024)

FAQs

What did 500000 of the 3 million soldiers who served in Vietnam suffer from? ›

According to a survey by the Veterans Administration, some 500,000 of the 3 million troops who served in Vietnam suffered from post-traumatic stress disorder, and rates of divorce, suicide, alcoholism and drug addiction were markedly higher among veterans.

How many Vietnamese died in the Vietnam War? ›

In 1995 Vietnam released its official estimate of the number of people killed during the Vietnam War: as many as 2,000,000 civilians on both sides and some 1,100,000 North Vietnamese and Viet Cong fighters. The U.S. military has estimated that between 200,000 and 250,000 South Vietnamese soldiers died.

How to find primary sources for the Vietnam War? ›

Vietnam War Primary Sources
  1. The Virtual Vietnam Archive. ...
  2. Rutgers Oral History Archives - Vietnam War.
  3. Veteran's History Project: Vietnam War. ...
  4. Antiwar and Radical History Project. ...
  5. National Archives Vietnam War records. ...
  6. Indochina - Vietnam, Cambodia and Laos: A Documentary History.
Jul 15, 2024

What event was considered the first official evacuation of the South Vietnamese on April 30 1975? ›

Fall of Saigon, capture of Saigon, the capital of the Republic of South Vietnam, by North Vietnamese forces, which occurred from March 4 to April 30, 1975. It was the last major event of the Vietnam War and effectively signalled the bitterly contested unification of Vietnam.

How old is the youngest Vietnam veteran still alive? ›

Of the 2,709,918 Americans who served in Vietnam, less than 850,000 are estimated to be alive today, with the youngest American Vietnam veteran's age approximated to be 60 years old.

Did all soldiers in Vietnam get combat pay? ›

Only 20 to 25% of U.S. Troops In Vietnam Receive Combat Pay.

Why did the US lose the Vietnam War? ›

The US army had superior conventional weapons but they were ineffective against a country that was not industrialized and an army which employed guerrilla tactics and used the dense jungle as cover.

Who was the last American soldier killed in Vietnam? ›

Though other soldiers died after the cease-fire prior to the American withdrawal in 1975, Bill Nolde is considered to be the last American combat casualty of the war in Vietnam.

Who killed the most Vietnam soldiers? ›

Charles Benjamin Mawhinney (February 23, 1949 – February 12, 2024) was a United States Marine who holds the Corps' record for the most confirmed sniper kills, having recorded 103 confirmed kills and 216 probable kills in 16 months during the Vietnam War.

How can you tell if someone is a Vietnam veteran? ›

Look for discharge papers, pictures, medals,etc. Look for clues about where he or she lived and served. Dates of enlsitment or selective service registration will be helpful along with the name military units they served with.

How do I prove I served in Vietnam? ›

Review Personnel Records for Proof of Service in RVN. To verify service in the RVN, review the veteran's DD Form 214, Certificate of Release or Discharge from Active Duty, to determine if appropriate service, such as “Foreign Service: Republic of Vietnam,” is shown.

How many Vietnam veterans are still alive? ›

VA thanks and honors our approximately 7 million living Vietnam Veterans and the 10 million families of those who served during the Vietnam War period. Since the birth of the United States, no single generation of Americans has been spared the responsibility of defending freedom by force of arms.

Who was the last soldier to leave Vietnam? ›

On March 29, 1973, the last American combat soldier, Master Sgt. Max Beilke, left Vietnam, completing the American military withdrawal. President Richard Nixon had announced on January 23, 1973 that the United States and North Vietnam had signed an agreement to end the war.

Why do people leave Vietnam? ›

Political oppression, poverty, and continued war were the main reasons Vietnamese fled their country. The desire to leave was especially great for Vietnamese who had fought for the South, worked with the United States, or held positions in the South Vietnamese government.

Could South Vietnam have survived? ›

They said that, even when the United States had finished training and equipping the South Vietnam military, Saigon “would not be able to survive without US combat support in the form of air, helicopters, artillery, logistics and major ground forces.”

What did Vietnam soldiers suffer from? ›

Many Vietnam veterans have experienced anxiety and other effects of post-traumatic stress disorder (PTSD), both on the battlefield and upon returning home. Most soldiers who were involved in active combat situations in the war returned home with little assistance to make the transition back to civilian life.

What was the life expectancy of a soldier in Vietnam? ›

Well, since about 98% completed their 12 to 13 month tour and returned to the States alive, even though possibly wounded or otherwise injured, the average “lifespan of a soldier in Vietnam” would have been about 11.75 to 12.75 months.

What is the leading cause of death of Vietnam veterans? ›

External causes, which include both intentional and unintentional injuries, accounted for most of the increased mortality in the early postservice period. Fatal injuries from motor vehicle crashes (MVC) were approximately two times more likely among Vietnam veterans than non-Vietnam veterans during this time (Table 2).

Which president sent 500000 troops to Vietnam? ›

Publicly, he was determined not to lose the war. As a result, in 1968 there were 500,000 American troops in South Vietnam and no end in sight to the conflict. After an extensive re-examination, President Johnson decided to disengage from a struggle lacking U.S. domestic support.

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Author: Eusebia Nader

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