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Zwölf Opfer können viel sein. In friedlichen Zeiten vermag etwa ein Anschlag, der ein Dutzend Menschenleben fordert, ein politisches Erdbeben auszulösen. In einem großen Krieg allerdings, in dem jeden Tag durchschnittlich allein mehr als 6200 Soldaten sterben, sind zwölf Tote bei der Versenkung eines großen Schiffes nicht viel, sondern wenig.
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Doch auch solche relativ kleinen Ereignisse können gewaltige Folgen haben – zumindest indirekt. Die Versenkung des Passagierdampfers „RMS Laconia“ am 25. Februar 1917, bei dem sechs Besatzungsmitglieder und sechs Gäste umkamen, darunter zwei Amerikanerinnen, war ein wesentlicher Schritt auf dem Weg der USA in den Ersten Weltkrieg.
Die „Laconia“, mit 18.000 Bruttoregistertonnen ein mittelgroßes Schiff, war erst 1912 in Dienst gestellt worden. Zusammen mit ihrem Schwesterschiff, der „Franconia“, sollte sie die zweitwichtigste Route der Cunard-Reederei bedienen, Liverpool–Boston und zurück. Außerdem sollten die Dampfer im Falle einer notwendigen Reparatur oder eines Krieges die doppelt so großen Cunard-Flaggschiffe „Mauretania“ und „Lusitania“ ersetzen – diese beiden Schnelldampfer waren mit massiver staatlicher Unterstützung finanziert worden und mussten im Gegenzug im Falle eines Konflikts an die Royal Navy ausgeliehen werden.
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Während die „Mauretania“ und ihr noch größerer Nachfolger „RMS Acquitania“ tatsächlich im Sommer 1914 requiriert wurden, blieb die „Lusitania“ im Transatlantikpassagierdienst. Doch am 7. Mai 1915 versenkte das deutsche U-Boot „U-20“ den Dampfer westlich der irischen Küste; 1198 der 1962 Menschen an Bord verloren ihr Leben, darunter 128 Amerikaner. Dieser Angriff führte schon im Sommer 1915 beinahe zum Kriegseintritt der USA aufseiten der Entente; die deutsche Reichsleitung konnte das mit diplomatischem Entgegenkommen gerade noch verhindern.
Die „Laconia“ übernahm nun, wie vorgesehen, die Route von New York nach Liverpool. Ihr Schwesterschiff „Franconia“ wurde 1916 bei einer Linienfahrt ins Mittelmeer von einem deutschen U-Boot versenkt. Nun war die „Laconia“ das letzte große Passagierschiff, das noch regelmäßig die USA mit Europa verband.
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Am 17. Februar 1917 legte der Dampfer im Hafen von New York ab. Er hatte lediglich 75 Passagiere an Bord, 33 in der Ersten und 42 in der Zweiten Klasse – bei einer eigentlichen Kapazität von 300 und 350 Gästen. Doch wer wollte schon aus dem sicheren und friedlichen Amerika unbedingt in das vom Krieg zerrissene Europa fahren? Die meisten Passagiere waren britische Staatsbürger, die von dienstlichen oder auch privaten Reisen in die USA heimkehrten. Nur sechs Amerikaner waren an Bord, darunter Floyd Gibbons, ein 29-jähriger Redakteur der „Chicago Tribune“.
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Er beschrieb die letzte Reise der „Laconia“ detailliert; sein ausführlicher Artikel erschien Ende Februar 1917 zuerst in seinem Heimatblatt und wurde dann im März von zahlreichen Zeitungen in den gesamten USA nachgedruckt. Gibbons wurde dadurch zu einem der bekanntesten US-Journalisten.
Mit diesen U-Booten ließ der Kaiser jagen
Dabei war sein Text keineswegs ein besonderes Kunstwerk, vielmehr einfach eine solide Reportage. Sie begann mit den Worten: „Ich habe starke Zweifel, dass dies eine reale Geschichte ist. Ich bin nicht wirklich sicher, dass dies nicht ein Traum ist.“ Dann schilderte Gibbons, was er zwischen dem Aufwecken am 25. Februar 1917 morgens und seiner Ankunft im Hafen des irischen Queenstown am 26. Februar erlebte.
Seit dem 1. Februar 1917 waren deutsche U-Boote angewiesen, alle Schiffe rund um Großbritannien und vor der französischen Atlantikküste ohne Vorwarnung zu torpedieren. Daraufhin hatten die USA die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland abgebrochen; die Zeichen standen auf Krieg. Eigentlich wartete man nur, bis ein Passagierschiff mit US-Bürgern an Bord angegriffen würde.
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Gegen 22.30 Uhr am 25. Februar 1917, die Passagiere beider Klasse saßen überwiegend in ihren jeweiligen Salons und lenkten sich von der bekannten Gefahr ab, war es so weit: „U-50“ unter Kapitänleutnant Gerhard Berger feuerte einen Torpedo auf die „Laconia“, die zu diesem Zeitpunkt einige Kilometer an dem Felsenriff Fastnet Rock im Südwesten Irlands vorbeifuhr. Die Waffe traf den Dampfer an Steuerbord achtern und riss mehrere Abteilungen auf. Sofort gab Kapitän William Irvine den Befehl zur Evakuierung, die nahezu perfekt ablief – dank dreier Testläufe in den vorangegangenen Tagen.
Der Kriegseintritt der USA und die Folgen
Allerdings riss sich ein Rettungsboot beim Ablassen los, kam hart auf der See auf und schlug leck; in diesem Boot saßen fast alle Todesopfer. Bedeutsam wurde vor allem der Tod von Mary Hoy und ihrer Tochter Elizabeth. Die beiden Amerikanerinnen lebten in London und kehrten, gegen den Wunsch ihrer männlichen Verwandtschaft in Großbritannien, auf der „Laconia“ zurück.
Floyd Gibbons beschrieb genau, was ein anderer Insasse dieses nur noch durch Auftriebskörper schwimmenden Bootes über den Tod der beiden Frauen berichtete. Sie trugen Schwimmwesten, wurden aber in den Stunden auf dem eiskalten Meer „schwächer und schwächer“, bis sie sich schließlich nicht mehr halten konnten und von einer Welle von Bord gespült wurden.
In den USA führte Gibbons’ Schilderung des unnötigen Todes von Mary und Elizabeth Holy zu weitverbreiteter Empörung. Das wiederum trug dazu bei, dass Präsident Woodrow Wilson vom Kongress die Ermächtigung forderte, das Leben von Amerikanern auf hoher See notfalls mit Waffengewalt zu schützen; er bekam das Gesetz und die notwendigen Kredite umgehend. Die überzeugten Kriegsgegner in Washington D.C. gerieten ins Hintertreffen. So wurde der Tod von zwölf Menschen mitten im Massensterben des Ersten Weltkrieges zum wesentlichen Schritt auf dem Weg der USA in die Entente.
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Dieser Artikel wurde erstmals 2017 veröffentlicht.